Jugendstilarchitektur um 1900 in Wuppertal

Buntglasfenster im Anbau der ehem. Villa Friedrich Bayer, Friedrich-Ebert-Str.146 Foto, Bernd Sippel 2016

Jugendstilarchitektur um 1900 in Wuppertal

1. Die Jugendstilornamentik als Erweiterung des Dekors

Der architektonische Mainstream verbleibt in der historistischen Tradition des 19. Jahrhunderts. Der Einfluss des Jugendstils manifestiert sich im Wesentlichen in einer Erweiterung des historistischen Dekors. Etwa ab 1900 tauchen neben den neobarocken, neoklassizistischen oder beliebigen Mischformen auch Jugendstilelemente im Fassadenschmuck auf: stilisierte Motive aus der Pflanzen- und Tierwelt, dem Kosmos (Sonnenmotiv), dynamische Liniengeflechte, geometrische Muster wie Quadrate, Rechtecke,

Ovale, Kreise, stilisierte Zierformen aus dem Rokoko wie Girlanden und Fruchtkorbmotive, Variationen ovaler und hufeisenförmiger Fenster- direkt außereuropäischen Kulturen oder dem Rokoko entlehnt. Und immer wieder tauchen Frauenköpfe auf – gern mit stilisierten, Blumen bekränzten, langen Haaren, die sich auch in Schlangen verwandeln können, um auf die Ambivalenz, in diesem Fall auf die Ambivalenz des Weiblichen, hinzuweisen.

Die neue Jugendstilornamentik findet sich auch im Holzwerk der Fenster und Türen, im Gitterwerk der Einfriedungen, in den Glas-Eisenverbindungen von Wintergärten oder Eingangsüberdachungen und in den Buntglasfenstern.

Gartentor, Elberfeld, Friedrich-Engelsallee 135 transloziert, Foto Rolf Löckmann vor 2008

Die Übergänge zwischen traditionellen Formen und den neuen Formen sind fließend. Da die Bautätigkeit um 1900 in den Randlagen Elberfelds und Barmens und in der damals aufstrebenden Kleinstadt Vohwinkel rege war, manifestierte sich eine Fülle solcher Jugendstilelemente im gesamten Spektrum der Architektur mal üppiger mal einfacher.

Internationale Trends werden übernommen. Die Weltausstellungen hatten Stahl- und Eisenkonstruktionen populär gemacht. So werden auch die Gleise des Elberfelder Hauptbahnhofs im späten 19. Jahrhundert mit einer Eisenkonstruktion überspannt. Die Elberfelder Stadthalle und der Zoologische Garten erhalten exotische Musikpavillons, Wupperbrücken gusseiserne Jugendstildekors.

Bismarcksteg, Elberfeld um 1900, Foto: wiki cc Jörg Wiegels 2012

Der Erweiterungbau der Stadtvilla Friedrich Bayer

Der gartenseitige Neubau der Stadtvilla Friedrich Bayer in der ehemaligen Königsstraße, heute Friedrich-Ebert-Straße, wurde 1893-1894 von Heinrich Metzendorf entworfen. Die großzügigen Buntglasfenster des Wintergartens im floralen Jugendstil

steigern die malerische Wirkung des neugotischen Erweiterungsbaus. Das Garagenhaus mit Chauffeurwohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurde um 1908 von Ernst Ruppel in Bergischer Bauweise realisiert.

Erweiterungsbau der Villa Bayer, Friedrich-Ebertstraße 146, Foto: Bernd Sippel, 2016
Die ehemaligen Stadtvillen Bayer, Friedrich Ebert-Straße 146 u. 148, Foto: Bernd Sippel, 2016
Garage mit Chauffeurwohnung, Friedrich-Ebert-Starße 133a, um 1908 von Ernst Ruppel erbaut, Foto: 1909
Buntglasfenster im Anbau der ehem. Villa Friedrich Bayer, Friedrich-Ebert-Str.146 Foto, Bernd Sippel 2016

Mit der intensiven Förderung der Bergischen Bauweise, u. a. durch Einrichtung von Bauberatungsstellen, mutiert der Jugendstil zur gestrigen Kunst, wird sogar als häßlich (Klotzbach) eingestuft.
Die Verwendung des Jugendstildekors ebbt nach etwa 1907 ab. Diesem Geschmackswandel fallen nach dem 1. Weltkrieg z.B. Abriss und Neugestaltung der Schwebebahnstation Döppersberg und noch einmal verstärkt nach dem 2. Weltkrieg Jugendstilfassaden und -innenräume zum Opfer. Der Jugendstil, insbesondere sein Dekor, wurden mit der Belle Époche des Kaiserreichs assoziiert und wegmodernisiert.

Noch herber waren die Verluste durch die Bombenangriffe im 2. Weltkrieg.
Dennoch verfügt Wuppertal immer noch über eine große Fülle und Vielfalt an Jugendstilornamentik – auch an den nicht denkmalgeschützten Fassaden der historischen Zeilenhäuser, die in diesem Portal sichtbar gemacht werden soll.

Die historische Architektur Wuppertals ist eine bislang noch nicht ausgeschöpfte Ressource der Stadt!

2. Die moderate Moderne

Innerhalb des architektonischen Mainstreams hebt sich durch potente und dem Zeitgeist gegenüber aufgeschlossene Auftraggeber und ihre Beauftragung renommierter Architekten eine moderate Moderne ab.

Das Warenhaus Tietz in Elberfeld – heute Galeria Kaufhof

Wilhelm Kreis, Warenhaus Leonard Tietz, Elberfeld 1912. Die Fassade Neumarktstraße ist erhalten.

1912 wurde das Warenhaus Tietz in Elberfeld erbaut, entworfen in einem repräsentativen, monumentalen Jugendstil – einem reduzierten, modernisierten Barock – von Wilhelm Kreis. Mehr Moderne wurde in der Innenraumgestaltung gewagt.

Warenhäuser in Barmen um 1900

Jugendstilwarenhaus in Barmen, Ansicht um 1910

Das Barmer Stadttheater (kriegszerstört)

Carl Moritz, das Barmer Stadttheater von 1904/05, Foto Fritz Cöllner, 1922/23, Deutsche Fotothek, Sächsische Landesbibliothek/Universitätsbibliothek Dresden

Das historische Theater von 1904/05 wurde vom Kölner Architekten Carl Moritz ebenfalls in einem repräsentativen und monumentalen Jugendstil – einem modernisierten Barock – erbaut. Den Dachgiebel schmückte ein dynamisches Liniengeflecht, das keltischen Flechtbandmotiven und arabischen Schriftzeichen entlehnt scheint. Die Innenraumgestaltung changierte zwischen barocken Motiven und Jugendstilornamenten.

In der Öffentlichkeit sorgte das neue Theater für Furore und Ärger. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Innenraum völlig umgestaltet. Außen wurden die Jugendstilelemente entfernt. Im Giebelfeld prangte nun ein Reichsadler mit Hakenkreuz. Während der Bombenangriffe im Jahre 1943 wurde das Theater zerstört.

An gleicher Stelle wurde das heutige Opernhaus wieder aufgebaut. Hier feierte das Tanztheater der Pina Bausch seine Erfolge. Die Anfänge des Modernen Tanzes gehen auf die Zeit um 1900 zurück. mehr…

Der Erweiterungsbau der Geschäftszentrale des Barmer Bankvereins (erhalten)

Gebäude des Barmer Bankvereins, heute Commerzbank-Filiale, Barmen, Foto: wiki cc Frank Vincentz 2008

1909 wurde die Geschäftsstelle des Barmer Bankvereins erweitert. Den Auftrag erhielt wiederum Carl Moritz. Auch hier wählt Moritz die Formen eines modernisierten Barock mit Jugendstilmotiven. Der Kassenraum ist im geometrisch- funktionalen Jugendstil gestaltet.

Der Barmer Bankverein wurde 1867 gegründet, expandierte um die Jahrhundertwende und entwickelte sich durch Fusionen mit anderen Banken zu einer der großen deutschen Regionalbanken. Er ist der historische Vorläufer der heutigen Commerzbank.

Die Barmer Zentrale wurde 1873/74 vom Kölner Architekten Hermann Otto Pflaume erbaut; der Erweiterungsbau von 1909 erfolgte durch Carl Moritz. Das Gebäude überlebte den Bombenangriff von 1943.

Opulentes und ironisierendes Rokokozitat oder Jugendstil?

3. Der Englische Landhausstil

Mit Aufkommen der englischen Arts-and-Cafts-Bewegung war – unter ihrem Einfluß oder unabhängig von ihr – auch in Teilen der deutschen Baukultur Bewegung gekommen und eine Auseinandersetzung und Absetzen vom Historismus zu erkennen. Ein heute noch sichtbares Ergebnis in Wuppertal sind die malerischen Bahnhofsbauten Ottenbruch, Mirke und Zoologischer Garten. Die Bahnhöfe Ottenbruch und Mirke wurden 1878/79 nach Plänen von Eberhard Wulff und seinem Mitarbeiter Joseph Seché im Auftrag der Rheinischen Eisenbahngesellschaft in einer malerischen Fachwerkarchitektur entworfen (Frielingsdorf). Der malerische Bahnhof Zoologischer Garten der Konkurrenzstrecke wurde 1882/83 erbaut.

Bahnhof Zoo, Siegfriedstraße, Foto: Herbert Günther 2013

Die malerischen Bahnhöfe Mirke, Ottenbruch und Zoologischer Garten

Die Barmer Stadthalle im Stil des Malerischen Bauens

Erdmann Hartig, Barmer Stadthalle, 1895-97, neben dem Turm für die Gefallenen von 1870/71 in den Barmer Anlagen, kriegszerstört

Auch die Barmer Stadthalle wurde im Stil des Malerischen Bauens errichtet.
Das Malerische Bauen entwickelte sich aus der Auseinandersetzung mit der englischen Landhaustradition, der alpenländischen Architektur (Schweizer Haus) und der Wiederentdeckung und Aufwertung unterschiedlichster regionaler Bauweisen. Charakteristisch ist eine freie, asymmetrische Gruppierung der Baukörper, die sich aus der inneren Logik eines funktionellen Bauens von innen nach außen ergab (Brönner). Vorbilder waren neben dem englischen Castle Style italienische Villen der Renaissance.

Vor- und zurückspringende Gebäudeteile mit Kleinarchitekturen wie Loggien, Veranden, Wintergärten und eine bewegte Dachlandschaft mit Holzgiebeln, Türmen und Zwerchhäusern ergab eine malerische Wirkung. Jede Seite überrascht mit einer anderen Ansicht (Allsichtigkeit).
Um 1900 wurde die englische Landhausarchitektur und vor allem die Wiederbelebung regionaler Bautraditionen zu einer Hauptströmung in der Überwindung des Historismus und der Suche nach einer neuen Formensprache in der Architektur.

Villen im Englischen Landhausstil

Die Villen um 1900 im englischen Landhausstil gehören zu den großartigsten und qualitätsvollsten Villen der Wupperstädte. Sie spiegeln eindrucksvoll Reichtum und Selbstbewusstsein der erfolgreichen Unternehmerfamilien. Besonders hervorzuheben ist die Villa Boettinger. Viele dieser herrschaftlichen Villen wurden von Heinrich Plange erbaut, dem auch der Entwurf der Historischen Stadthalle zuzuschreiben ist. mehr…

Villa Boettinger

Henry Theodor von Boettinger wurde 1848 in England geboren und verbrachte dort seine Kindheit – vielleicht daher seine besondere Nähe zum englischen Landhausstil. Seine ersten unternehmerischen Erfolge erreichte er mit der Übernahme seines väterlichen Erbes, des Würzburger Hofbräuhauses. 1878 heiratete er eine Tochter von Friedrich Bayer Senior. Zusammen mit Friedrich Bayer (jun.), seinem Schwager Carl Rumpf und Carl Duisberg plante er die Standorterweiterung der Bayer Farbenfabriken aus dem engen Wuppertal an den Rhein nach Leverkusen –

ein wichtiger Schritt für den Aufstieg der Bayer AG zum Weltkonzern. Von 1907 bis zu seinem Tod im Jahre 1920 war Boettinger Vorsitzender des Aufsichtsrates. Darüber hinaus engagierte er sich in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. U. a. vertrat er den Landkreis Mettmann, zu dem damals auch Vohwinkel gehörte, im preußischen Abgeordnetenhaus, später wechselte er in das Herrenhaus. 1907 wurde Boettinger geadelt. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er auf seinem Schloß Arensdorf/Neumark (heute Schloß Jarnatow/Lubniewice). Das Schloß hatte er gekauft und aufwendig mit Zitaten des englischen Landhausstils umbauen lassen (Knoke/Aufbruch um 1900).

Villa Boettinger; die Villa wurde um 1900 vermutlich durch E.E. v. Ihne erbaut, 1906, vermutlich von Heinrich Plange, erweitert und in den 1970 er Jahren abgebrochen. Foto: Stadtarchiv Wuppertal

In den 1890er Jahren erwirbt Henry Boettinger zunächst unterhalb des Zoologischen Gartens ein Sommerhaus mit einem Park, der genau wie der Zoologische Garten von Heinrich Siesmayer angelegt worden war (Haus Sonneck I). Um 1900 lässt Boettinger weiter oberhalb, am Standort des heutigen Elefantenhauses, einen Neubau errichten. Der Architekt der Villa war vermutlich Ernst Eberhard von Ihne (1848 – 1914). Ihne wurde in Elberfeld geboren.

Sein vornehmlicher Wirkungskreis als Architekt war aber Berlin; dort avancierte er zu einem der bedeutendsten Architekten des Wilhelminischen Deutschlands. Um 1906 wird die Villa erheblich erweitert und es entsteht eine imposante Villenlandschaft im englischen Landhausstil. Der Architekt des Erweiterungstraktes war vermutlich Heinrich Plange. Die Villa wurde in den 1970er Jahren angebrochen. Der Park diente der Zooerweiterung.

ehemaliges Pförtnerhaus der Villa Boettinger, erhalten; Foto: Hermann J. Mahlberg um 2012

Nur das ehemalige Pförtnerhaus oberhalb der Elefantenanlage ist erhalten geblieben.


Mit dem Abbruch der Villa Boettinger hat Wuppertal eines der bedeutendsten Denkmäler seiner Villenkultur verloren.

Villa Baum, heute Villa Mittelsten Scheid (Vorwerk Academy)

Villa Baum, Zur Waldesruh 45, Foto: Hremann J. Mahlberg, 2012

In den Jahren 1902/03 hatte Heinrich Plange bereits ein großes Sommerhaus im englischen Landhausstil für die Familie des Textilfabrikanten Gustav Baum auf dem Boltenberg erbaut – einer der Gründe, Heinrich Plange auch als Architekten der Villa Boettinger im Zooviertel in Anspruch zu nehmen. Das Holzwerk des Treppenhauses und das Gitterwerk des Treppenhausfensters der Villa weisen Jugendstilmotive auf. Farbfotos zeigen, dass der malerische Aspekt nicht nur in der Vielfalt unterschiedlicher, großer und kleiner Gebäudeteile wie Türme Turmhauben, Giebeln mit ihren

Schmuckelementen besteht, sondern auch in der farblichen Vielfalt durch die Verwendung vielfältiger Materialien wie schwarz-weißes Fachwerk, schwarzes Schieferdach, rote Ziegelfassaden mit schwarzem Holzwerk, rote Holzschindeln in den Giebeln. 2011 kaufte die Firma Vorwerk die Villa, restaurierte und modernisierte sie in Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt. In einem neuen Nebengebäude wurden Gästezimmer untergebracht. Die Villa dient der werksinternen Fortbildung.

Die folgenden Villen befinden sich im Briller Viertel, dem historischen Villengebiet von Elberfeld:

Villa Klaus Gebhard

Villa Klaus Gebhard, Moltkestr.67 um 1903 erbaut, Foto: wiki cc Atamari 2008

Um 1903 wurde die Villa für die Familie Klaus Gebhard durch die Architekten Kayser & v. Groszheim erbaut. Die Berliner Architektensozietät wurde 1872 gegründet und gehörte zu den erfolgreichsten Architekten Berlins.

1961 bezogen der Architekt und Galerist Rolf Jährling, seine Frau und mit ihnen die Galerie Parnass die Villa. Und so wurde die Villa in den 1960er Jahren zum Ausstellungs- und Aktionsort einer internationalen künstlerischen Avantgarde mit spektakulären Happenings.

Villa Paul Boeddinghaus

Heinrich Plange, Villa Boeddinghaus, Katernberger Straße 149, 1908; Foto: wiki cc Atamari

Der in seinen Dimensionen außerordentlich große Bau zeigt in großen Teilen deutlich die Handschrift Heinrich Planges. Durch die eigenwilligen Wünsche des Bauherrn ist diese aber stellenweise verwässert, da Motive des englischen Landhauses mit gotischen Einflüssen in Einklang gebracht werden mussten und an markanten Stellen der Fassade Reliefplatten und freistehende Figuren, wie beispielsweise ein Adler, dem Gebäude eine patriotische Note geben, … Kirchhoff S. 201

Die Villa wurde 1908 für die Familie Paul Boeddinghaus nach Plänen des Architekten Heinrich Plange erbaut. Paul Boeddinghaus war Teilhaber der 1826 von seinem Großvater und Großonkel gegründeten Textilfabrik. Die Familie Boeddinghaus gehörte zum Kreis der großen und erfolgreichen Gründerfamilien Elberfelds.

Villa Hans Schniewind


Heinrich Plange, Villa Schniewind, Am Buschhäuschen 19, 1914/15; Foto: wiki cc Atamari 2008

1914/15 ließ sich die Familie Hans Schniewind ebenfalls von Heinrich Plange eine große und eindrucksvolle Villa im englischen Landhausstil errichten. Hans Schniewind war Teilhaber der Seidenfabrik Schniewind und mit Anna Margarete Frowein verheiratet – nur ein Beispiel für die familiären Verbindungen der großen Gründerfamilien der Wupperstädte.

Ähnlich wie bei der Villa Boettinger präsentiert sich dem Betrachter eine Villenlandschaft mit vor- und zurückspringenden Baukörpern, mit freien Giebelvarianten und verschiedenen Materialien wie Natursteinsockel, dunkelrotem Ziegelmauerwerk, schwarz-weißem Fachwerk, womit eine spannende Farbwirkung erzielt wird. Jede Fassadenseite überrascht mit einer neuen Ansicht.

4. Die Renaissance der Bergischen Bauweise um 1900

Richard Wellershaus, Wohn- und Geschäftshaus in Vohwinkel am Kaiserplatz, 1908, Foto Kerstin Falbe und Frank Dora 1996
Villa Braus, später Offizierskasino, heute – zusammen mit einem Neubau – ein Hotel, Villa im Park, Parkstraße, Foto: wiki cc Der-wuppertaler, 2013
Am Buschhäuschen 27, Foto: wiki cc Im Fokus 2017

Eine der Hauptinspirationsquellen für die Überwindung des Historismus und die Erneuerung der Architektur war – dem englischen Einfluss folgend – die Rückbesinnung auf regionale Bautraditionen. Und im Gegensatz zum floralen oder geometrischen Jugendstil stieß die Renaissance des Heimatstils auf breiteste Resonanz und Unterstützung auf allen Ebenen- von den staatlichen und kommunalen Stellen bis zur ehrenamtlichen Denkmalsschutzbewegung – auch in der bergischen Region und im Wuppertal. Und von Anfang an geriet die Bewegung in die divergierenden Strömungen von rückwärtsgewandtem Heimatschutz und reformerischem Neuansatz. So wie die Lebensreformbewegung teilweise eine Nähe zum Völkisch-Rassistischen des Nationalsozialismus zeigte, so auch die Hardliner der Heimatschutzbewegung. Hierzu zählte an prominenter Stelle der renommierte Architekt und Protagonist des Heimatschutzstils Paul Schultze-Naumburg. Mit seiner Kulturpolitik in den 1930er Jahren, seiner Kulturideologie mit unsäglichen Veröffentlichungen wie Kunst und Rasse (1928) Kunst aus Blut und Boden (1934) munitionierte er die nationalsozialistische Rassenlehre. Schultze-Naumburg wurde zu einem Wegbereiter und Mitwirkenden der nationalsozialistischen Kulturideologie. (Wikipedia)

Durch die Gründung eines Ausschusses zur Förderung der Bergischen Bauweise (1906) oder durch einen Wettbewerb für mustergültiges Bauen im Bergischen Stil und vor allem durch die Einrichtung von Bauberatungsstellen wurde die Bergische Bauweise bei allen öffentlichen und privaten Bauvorhaben und in allen Baubereichen rigoros gefördert und so die architektonische Landschaft nach 1900 nachhaltig geprägt. Auch heute noch setzt der farbliche Dreiklang Schwarz-Weiss-Grün viele malerische Akzente im Stadtbild.

Die Wiederbelebung der Bergische Bauweise mit ihrem verschieferten oder schwarz-weißen Fachwerk, den weißen Fensterrahmungen und grünen Schlagläden orientierte sich vor allem am barocken Bürgerhaus um 1780, aber auch am einfachen bäuerlichen Haus.

Unter den einheimischen Architekten waren es vor allem Heinrich Plange, Ernst Ruppel, die Architektensozietät Cornehls und Fritsche oder auch der Architekt und Leiter des städtischen Hochbauamtes Elberfeld Lothar Schoenfelder, die die Bergische Bauweise zeitgemäß variierten. Unter den auswärtigen Architekten, die sich mit der Bergischen Bauweise auseinandersetzten, beeindrucken vor allem Emanuel Seidl und Carl Moritz.

Historische Vorbilder für die Wiederbelebung der Bergischen Bauweise

Die neue Bergische Bauweise um 1900

Die Barmer Krankenanstalten (Helios) Foto um 1915, teilweise erhalten; sie wurden 1909 bis 1911 durch das städtische Bauamt Barmen (Stadtbaurat Eugen Rückle) entworfen.

5. Die Villen des Münchener Architekten Emanuel Seidl

Die vier Villen von Emanuel Seidl stehen in der Tradition des englischen Landhauses, überraschen aber durch eine modernere Interpretation und die Einbeziehung malerischer Elemente aus unterschiedlichen Regionen – darunter die Bergische Bauweise – und Zitaten des floralen und geometrischen Jugendstils. Aus den vielfältigen Elementen kreiert Seidl ein jeweils individuelles Gesamtkunstwerk. Jede Fassadenansicht hat eine andere Wirkung. Ausgangspunkt für den Gestaltungsprozess war in jedem einzelnen Fall zunächst einmal die Art und Lage des Grundstücks, die topografische Situation, die Einfügung der Architektur in dieses Umfeld. Seidl ließ später neben seinen Entwurfszeichnungen immer auch ein Modell anfertigen, um die Positionierung des Hauses und die verschiedenartige Wirkung der zusammengefügten Baukörper aus den unterschiedlichen Blickwinkeln begreifbar zu machen. Im Gespräch mit den Bauherren wurden dann Details besprochen.

links: Ornamente der Einfriedung der Villa Vogel, Scheffelstr. 42

i. Villa Keetmann

Villa Keetman, Briller Höhe 6, leichte Kriegsschäden, 1981 abgebrochen. Die Villa wurde 1902/03 für den Bankier und Teilhaber der Wichelhausbank Alfred Keetmann im historischen Villenviertel der Stadt Elberfeld erbaut. Die Straßenseite zeigt die Zitate der Bergischen Bauweise; diese Ansicht wird auch 1910 in dem Beitrag von Schoenfelder/Lehmann Die Wiederbelebung der alten Bauformen in unserer Zeit publiziert.

ii. Villa Engländer

Villa Engländer, Briller Höhe 8. Die Villa wurde 1903/04 für die Familie des Textilfabrikanten Rudolf Engländer gleich neben der Villa Keetmann erbaut. Sie wurde 1980 trotz ihres einwandfreien Zustandes und trotz der Bürgerproteste abgebrochen, um einer Wohnanlage Platz zu machen.

iii. Haus Mittelsten Scheid

Barmen (1907–1908 erbaut), Foto um 1909, Haus Mittelsten Scheid, Hohenstaufenstr. 22

Haus Mittelsten Scheid, Hohenstaufenstraße 22, schwer kriegsbeschädigt, nach 1970 abgebrochen. Die Villa wurde 1907/08 für den Fabrikanten August Mittelsten Scheid, Mitinhaber und Geschäftsführer der Vorwerk-Werke auf den Barmer Südhöhen im Villenviertel Toelleturm erbaut. Ein direktes Vorbild war das Haus Bernhard in Berlin, entworfen von Hermann Muthesius.

Mit den Villen Keetmann, Engländer und Mittelsten Scheid hat Wuppertal drei der kunsthistorisch bedeutendsten Villen um 1900 verloren. Die einzige noch erhaltene Villa von Emanuel Seidl steht in Vohwinkel. Sie wurde durch ihren jetzigen Besitzer umsichtig restauriert und beherbergt heute ein Hotel und Gourmetrestaurant.

iv. Villa Vogel

Villa Vogel im Vordergrund, Scheffelstr. 41, Vohwinkel, daneben die Villa des Bruders und weiter oben die gemeinsame Fabrik, 1907, Foto um 1912

Die Villa wurde 1907 für den Fabrikanten Wilhelm Vogel neben dem Wohnhaus seines Bruders und unmittelbar neben der gemeinsamen Fabrik erbaut. In Elberfeld und Barmen hatte man diese Positionierung wegen der schlechten Luft im Tal um diese Zeit bereits aufgegeben und stattdessen die Villen in den Höhenlagen erbaut.
Seidl verbindet hier die malerischen Elemente des englischen Landhausstils

vor allem mit Formen und Farben des barockisierenden Bergischen Heimatstils, steigert die Wirkung mit dekorativen Zitaten des floralen und geometrischen Jugendstils. Jugendstilelemente befinden sich im Putz, in der Haustüre, im schmiedeeisernen Gitterwerk, in den Bleiverglasungen von Fenstern und Haustür, im Holzschnitzwerk des Treppenhauses und an der Einfriedung. mehr…

6. Der Kirchenbau

Auch im Kirchenbau zeigt sich ein moderater Aufbruch um 1900. Ein früher Auftakt erfolgt mit der Reformierten Friedhofskirche, die zwischen 1894 und 1898 von Johannes Otzen (1839 – 1911) in der Elberfelder Nordstadt erbaut wurde. Johannes Otzen gehört zu den bedeutendsten Kirchenbaumeistern im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts …


Im letzten Jahrzehnt des ausgehenden Jahrhunderts distanzierte sich Johannes Otzen vom Historismus und dem Stilpluralismus der unmittelbaren Vergangenheit.
(Mahlberg)

Joseph Kleesattel, katholische Kirche in Vohwinkel, Gustavstraße, 1907 erbaut

In Vohwinkel lässt die katholische Kirchengemeinde 1906 eine Kirche von dem Düsseldorfer Architekten Joseph Kleesattel d.Ä. in einer modernen Interpretation der Neugotik erbauen. Kleesattel war von 1883 bis 1902 Dozent für Architektur an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule. Anschließend arbeitete er als Privatarchitekt. Er baute mindestens 20 Kirchen im Rheinland.

Die folgenden Kirchen zeigen Einflüsse der neuen Bergischen Bauweise

7. Fabrikarchitektur um 1900

8. Renommierte Architekten um 1900 im Wuppertal

Ein Blick auf die Architekten um 1900 zeigt, dass die Wupperstädte und ihre führenden Familien für ihre Bauaufgaben Architekten mit besonderer Kompetenz verpflichteten, darunter viele auswärtige Architekten von Qualität und hohem Ansehen wie die Architekten Ernst Eberhard Ihne (in Elberfeld geboren) oder Johannes Otzen aus der Hauptstadt Berlin, Carl Moritz aus Köln oder Berlepsch Valendas und Emanuel Seidl aus München.

Ihr Renommé strahlt zurück auf die Wupperstädte und ihre führenden Familien, spiegelt es doch ihre damalige Bedeutung, ihren noch vorhandenen Reichtum und ihr Selbstwertgefühl. Einen besonderen Beitrag zum Aufbruch um 1900 im Wuppertal haben die Architekten Bruno Möhring, Carl Moritz und Emanuel Seidl geleistet.

i. Bruno Möhring (1863 – 1929)

Bruno Möhring gehört zu den bedeutendsten Architekten des Jugendstils in Deutschland, zu den wenigen, die zu wirklich neuen, originellen Baulösungen fanden. Er war noch jung, als er den Wettbewerb für die Elberfelder Schwebebahnstation Döppersberg gewann und stand erst am Anfang seiner großen Karriere.

Zuvor hatte er durch Wettbewerbsentwürfe auf sich aufmerksam gemacht und sich durch eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Gutehoffnungshütte in Oberhausen bei dem Bau einer Rheinbrücke empfohlen.

ii. Carl Moritz (1863 – 1944)

Mit dem Bau des Barmer Stadttheaters und dem Erweiterungsbau für den Barmer Bankverein hatte Moritz das Zentrum Barmens nachhaltig geprägt und mit seinen Inneneinrichtungen das Flair des Jugendstils in die Stadt gebracht.
Carl Moritz wurde in Berlin geboren und studierte dort an der Technischen Hochschule u. a. bei Hermann Ende und Julius Raschdorff. Er ging zunächst in den Staatsdienst, arbeitete als

Bauinspektor bei der Stadt Köln, später als Privatarchitekt – und zwar mit größtem Erfolg in verschiedenen Genres. Einen besonderen Stellenwert in seinem Werk hatten seine Theaterbauten, seine Geschäftshäuser, seine Bankgebäude und seine Inneneinrichtungen. Für den Barmer Bankverein war er gewissermaßen der Hausarchitekt. Ab 1904 war Moritz Mitglied in der Kölner Künstlervereinigung Stil.

iii. Emanuel von Seidl (1856 – 1919)

Emmanuel von Seidl, Foto: wiki

Emanuel Seidl aus München war um 1900 einer der gefragtesten Architekten Deutschlands und darüber hinaus, gewissermaßen der Stararchitekt seiner Zeit. Heute ist sein älterer Bruder Emanuel als Architekt des Bayerischen Nationalmuseums oder der Villa Lenbach, die Teil der Münchener Museumslandschaft ist, der bekanntere. Doch auch Emanuel Seidl hat seinerzeit die Architektur Münchens mitgeprägt z. B. das Gesamtbild des nordöstlichen Teils des Bavariarings oder den Lenbachplatz. 1910 entwarf er die Zooanlage für den Tierpark Hellabrunn. Seine rege Beteiligung an Ausstellungen fand ihren Höhepunkt auf der Weltausstellung von 1910 in Brüssel. Seidl entwarf die Gesamtanlage der deutschen Abteilung. Die großen Jugendstilkünstler Peter Behrens und Bruno Paul arbeiteten unter seiner Leitung. Sein beruflicher Erfolg brachte ihm ein beachtliches Vermögen und hohes gesellschaftliches Ansehen mit vielen Ehrungen ein, darunter, wie bei seinem Bruder, eine Professur (1896) und die Nobilitierung (1906).

Die Mehrheit seiner Auftraggeber war bürgerlich und kam überwiegend aus der aufstrebenden und sehr vermögenden Gesellschaftsschicht von Industrie und Wirtschaft, anfangs auch aus Künstlerkreisen. Seine letzte Künstlervilla baute er für Richard Strauß in Garmisch. Zu seinen Auftraggebern im Rheinland gehörten bekannte Namen wie der Papierfabrikant Schoeller oder der Glashüttenbesitzer Peill. Seidl war ein Experte in der Selbstvermarktung, requirierte seine Kunden durch Einladungen in sein Stadthaus in München oder in sein Landhaus in Murnau. Seine Feste waren gesellschaftliche Events. Seinen Bauherren bot er ein Gesamtpaket von Architektur, Innenraumgestaltung bis zum Besteck in den Schubladen an. Die Brüder machten keinen Hehl daraus, dass sie nicht nur gut, sondern auch teuer waren. Emanuel von Seidl repräsentierte mit seinem Erfolg, seinem Lebensstil, seinen rauschenden Festen, seiner Nobilitierung und seiner architektonischen Palette genau das, wonach seine Bauherren strebten: die Demonstration des neuen bürgerlichen Selbstwertgefühls in der Übernahme aristokratischer Lebensformen z.B. mit einer Villa, die repräsentatives,

herrschaftliches Wohnen und ländliche Behaglichkeit miteinander verbindet. Emanuel Seidl verbleibt einerseits in der historistischen Tradition des 19. Jahrhunderts, öffnet sich aber gleichzeitig – mehr als sein Bruder – der neuen Zeitströmung. Mit seiner malerischen Bauauffassung, der Formenvielfalt der Baukörper, der Farbwirkung unterschiedlicher Materialien und den Zitaten regionaler Bautraditionen kreiert Seidl eine an Stimmungswerten reiche Architektur, die er durch die Verwendung dekorativer Jugendstilformen steigert. Seinen mehrmonatigen Aufenthalt in London nutzt Seidl zum Studium der neuen englischen Landhausarchitektur. Seine Rezeption des englischen Landhausstils erfolgt sowohl aus eigener Anschauung als auch über Vorbilder von Hermann Muthesius. Umgekehrt findet Hermann Muthesius die Villen Seidls so vorbildlich, das er drei Villen von Emanuel Seidl in seinem Buch Das moderne Landhaus (1905) veröffentlicht. Ab 1900 verstärken sich neben den englischen Einflüssen auch die Jugendstilelemente im Werk Seidls.

Alle vier Wuppertaler Villen stehen in der Tradition der neuen englischen Landhausarchitektur mit bewegtem Umriss von Vor-und Rücksprüngen, der Durchdringung mehrerer Baukörper wie Türme, Risalite, Loggien, Terrassen und einer ebenso bewegten Dachlandschaft. Sie verfügen über ein ähnliches Raumprogramm: im Erdgeschoss gruppieren sich Gesellschaftsräume um die zentrale Diele oder

Halle, die über einen offenen Treppenaufgang zu den Schlafräumen der Familie führt. Im ausgebauten Dachgeschoss befinden sich Gäste-und Dienstbotenzimmer. Alle Villen verfügen über ein Nebentreppenhaus für das Personal und die Bewirtschaftung des Hauses. Die Wirtschaftsräume sind im Kellergeschoss untergebracht. Nur im Haus Keetmann ist die Küche im Erdgeschoß.

Villa Vogel, Scheffelstraße 41, Vohwinkel, 1907 Foto: Kerstin Falbe und Frank Dora, 1996

Die Villen Keetmann, Engländer und Mittelsten Scheid gehören zu den sachlichsten und originellsten Realisationen im umfangreichen Werk von Emanuel Seidl. Mit dem Abbruch der Villen – die Villa Keetmann befand sich zum Zeitpunkt ihres Abbruchs 1981 in einem einwandfreien Zustand – hat Wuppertal ihre kunsthistorisch bedeutsamste Architektur aus der Zeit um 1900 verloren. Auf allen drei Grundstücken befinden sich heute Wohnanlagen. So steht die einzige noch erhaltene Villa des Emanuel Seidl in Vohwinkel. Sie wurde von ihrem jetzigen Besitzer umsichtig restauriert und beherbergt heute ein Hotel und Gasträume eines Gourmetrestaurants.

iv. Gabriel von Seidl (1848 – 1913)

Gabriel von Seidl, Foto: wiki

Gabriel von Seidl ist heute der bekanntere der beiden Brüder. Unter anderem hat er das Deutsche Theater oder die Villa für den Malerfürsten Franz von Lenbach in München erbaut oder im Rheinland das Schloß Lerbach in Bergisch Gladbach oder das Wohnhaus der Kunstsammlerin Elodie Puricelli in der Düsseldorfer Königsallee.

Auch Gabriel Seidl hat im Wuppertal gebaut. Die Villa Meese wurde 1905/06 für Friedrich Meese auf den Barmer Südhöhen in der Beethoven-Allee 2 – heute Richard-Strauß-Allee 16 – erbaut. Der Bauherr war Teilhaber der Firma Rittershaus & Sohn in Barmen, die Spitzen, Bänder und Litzen herstellte. Von der Straßenseite her präsentierte sich die Villa Meese als barocke herrschaftliche Villa mit steilem Mansarddach in der Tradition der Pariser hôtels.

Die Gartenseite vermittelte trotz der Symmetrie den Eindruck eines Landhauses. Die Fensterrahmungen im Mansardgeschoss wiesen eine Jugendstilvariante barocker Rahmungen auf. Im Zweiten Weltkrieg büßte die Villa ihre stattliche Dachlandschaft ein. Da sie nicht unter Denkmalschutz gestellt war, hat sie im Zuge ihrer Umwandlung in Eigentumswohnungen viele bauliche Veränderungen hinnehmen müssen.

Leisteten sich etliche Bauherren der bürgerlichen Elite für ihre Villen oder die Kommunen und Kirchengemeinden in Elberfeld und Barmen für ihre repräsentativen Gebäude renommierte Architekten von weither, so blieb man doch überwiegend bodenständig, engagierte kompetente Architekten aus dem Umfeld, mochten sie im Wuppertal geboren sein wie Heinrich Plange

oder angeworben wie Lothar Schoenfelder als Leiter des Elberfelder Bauamtes oder Werdelmann als Leiter der Barmer Kunstgewerbeschule. Die Alltagsarchitektur lag fast ausschließlich in Händen örtlicher Bauunternehmer ohne Architektenausbildung-meist hervorgegangen aus den inzwischen hervorragenden Baugewerk- und Kunstgewerbeschulen.

Der führende Architekt im Bergischen war Heinrich Plange.

v. Heinrich Plange (1857 – 1942)

Villa Karl von der Heydt, Bad Godesberg, 1891/93 Foto um 1900

Heinrich Plange stammt aus einer Architektenfamilie. Seinem Vater, Wilhelm Plange (1809 – 1879) ist höchstwahrscheinlich der Entwurf des Eisenbahndirektionsgebäudes von 1871/75 zuzuschreiben, das zusammen mit dem Bahnhofsgebäude von 1847/48 heute das eindrucksvolle historische Ensemble des neu gestalteten Bereichs des Wuppertaler Hauptbahnhofs bildet. Wilhelm Plange war Regierungsbaumeister, kurzzeitig auch Stadtbaumeister von Barmen, seit den 1860er Jahren Mitglied des Eisenbahndirektoriums der Bergisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft.
Der junge Heinrich Plange erhält eine exzellente Ausbildung an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg. Zu seinen Lehrern gehört u. a. Julius Raschdorff, der unter Wilhelm II. zum führenden Architekten aufsteigt.

Planges Karriere beginnt sogleich mit einem Großauftrag für ein herrschaftliches Sommerpalais in Bad Godesberg für Karl von der Heydt – ein ideales Entrée, um auf sich aufmerksam zu machen.
Heinrich Plange avanciert zu dem Architekten des Bergischen Unternehmertums, prägt mit seinem umfangreichen Werk die architektonische Landschaft, brilliert vor und nach 1900 in unterschiedlichen Stilen, lässt den Glanz einer untergehenden Epoche noch einmal aufblitzen, die neobarocke Pracht einer Villa Seyd, die englische Landhausarchitektur der Villen Baum, Schniewind oder Paul Boeddinghaus, den opulenten Eklektizismus der Elberfelder Stadthalle.

Der architektonische Aufbruch um 1900 beeinflußt auch Planges Architektur, vor allem die neue englische Landhausarchitektur und die Wiederbelebung der Bergischen Bauweise. Planges Entwürfe für das Haus Boeddinghaus, Bismarckstraße 70 (abgebrochen), und die Villa Robert Wichelhaus, Goebenstraße 24, werden in der 1910 erschienenen Zeitschrift des Rheinischen Vereins als beispielhaft für eine zeitgemäße Neuinterpretation der Bergischen Bauweise herausgestellt. Die Neanderkirche in Hochdahl und die heutige Thomaskirche in Elberfeld gehören zu den moderneren Kirchenbauten ihrer Zeit. Seine Villen im Zooviertel gehören ebenfalls zur moderaten Moderne im Wuppertal.

Um 1900 erfreut sich Heinrich Plange großer Popularität über die Region hinaus. In Hagen-Wehringhausen entscheidet sich die Kirchengemeinde für Planges Enwurf. Seine moderat moderne Barockinterpretation sticht

Peter Behrens Entwurf im geometrischen Jugendstil aus. Bis nach Bonn, Koblenz und Hamburg kann Plange den neuen Bergischen Heimatstil exportieren.