Jugendstilbewegung

Heinrich Vogeler, Sommerabend, 1905. Die Künstlerkolonie Worpswede vor dem Barkenhoff u.a. mit Heinrich Vogeler (rechts verdeckt mit Cello), Paula Modersohn-Becker, Clara Rilke-Westhoff (links) und Paul Modersohn im Hintergrund; Foto : wiki kunststiftung


Die Jugendstilbewegung

Der Jugendstil war mehr als eine Kunstepoche, er war eine Haltung, ein Lebensstil, eine Vision.

Die Zeit des Jugendstils war die Zeit eines internationalen künstlerischen Aufbruchs. Eine weltweite künstlerische und intellektuelle Avantgarde wollte Altes hinter sich lassen und die Zukunft neu gestalten. Die Jugendstilbewegung war ein Aspekt der Lebensreformbewegung.

Das Alte waren u.a.:

  • die Wunden der Industrialisierung mit der Verschmutzung der Luft und der Flüsse in den Ballungszentren,
  • der Plüsch und Pomp der Bell´Époche mit einer sich feiernden Elite und einer Arbeiterschaft in elenden Wohn-und Lebensverhältnissen,die Prüderie und doppelte Moral der Gesellschaft,
  • die Benachteiligung der Frauen,
  • der eskalierende Nationalismus mit der Gier der rivalisierenden Nationen um die Aufteilung der Welt (Kolonien), der Verfall der Werte der alten Ordnung mit dem Aufblühen der Naturwissenschaften und dem abnehmenden Einfluss der Kirchen,
  • die Hässlichkeiten des Maschinenornaments, die mangelhafte Qualität der maschinellen Massenware

Zurück zur Natur

Dagegen setzte die Jugendstilbewegung ihr Zurück zur Natur mit der Planung von Gartenstädten (Gartenstadtbewegung), von preiswerten, doch schönen Musterhäusern und Siedlungen für die Arbeiterschaft in den Randlagen der Städte.

Künstlergemeinschaften lebten ein einfaches und kreatives Leben in naturschönem Umfeld vor. Allein in Deutschland gründeten sich über 20 Künstlerkolonien. Zu den bekanntesten und Impuls gebenden

Künstlerkolonien gehörten die Ansiedlungen auf dem Monte Veritá im Schweizer Tessin, auf der Mathildenhöhe in Darmstadt, und am Stirnband in Hagen (Hagener Impuls).

Monte Verità: Der legendäre Berg der Wahrheit zieht um die Jahrhundertwende Sinnsucher, Theosophen, Pazifisten, Anarchisten, Lebensreformer, Künstler aus aller Welt an. In seinem Umfeld entwickelt sich ein Kreativitätspool, dessen Impulse bis in die Gegenwart wirken. So laufen z,B. auf dem Monte Verità und an dessen Fuß, im Tanztempel der Charlotte Bara in Ascona frühe Fäden des modernen Tanzes zusammen, der Wuppertal und das Tanztheater von Pina Bausch in der internationalen Tanzszene bekannt gemacht haben. Die ersten Kolonisten tanzten noch gern nackt im Freien, im Angesicht der Sonne. Später bietet Rudolf von Laban seine Sommerkurse auf dem Berg an, arbeitet u. a. mit der Tanzikone der Jahrhundertwende Isadora Duncan zusammen, die 1906 auch ein Gastspiel im Elberfelder Theater gab.

Auch die Elberfelder Dichterin und Malerin Else Lasker-Schüler besucht den Monte Verità. Bei ihren Aufenthalten in Ascona wohnt sie bei einer Schulfreundin aus Elberfeld, Elvira Bachrach geb. Bachmann und ihrem Mann Paul. ELS tritt mehrmals im Teatro San Materno auf, das das Ehepaar für seine Tochter Charlotte hatte bauen lassen. Charlotte Bara (1901 – 1986) war eine international bekannte mystische Ausdruckstänzerin und Choreografin. Seit 2009 ist das Teatro San Materna wieder eröffnet und ist heute eine Plattform des internationalen Tanzes und des Bewegungstheaters.

Eduard von der Eduard (rechts im Luftkleid) mit illustren Gästen vor seinem Kurhotel auf dem Monte Verità

1926 kauft der Elberfelder Bankier und Kunstsammler Eduard von der Heydt – ohne die berühmte Vorgeschichte zu kennen – die Ansiedlung auf dem Monte Verità. Dort läßt er von Emil Fahrenkamp, der später in Elberfeld das seinerzeit mondäne Kaufhaus Michel (1929 / erhalten) und die Festhalle der Bayerwerke (1938/40, teilw. erhalten) bauen sollte, ein Hotel im Stil des Neuen Bauens errichten und mit Teilen seiner Kunstsammlung ausstatten. Die große Zeit des Monte Verità war zwar vorüber, aber immer noch kamen bedeutende internationale Persönlichkeiten auf Einladung des Bankiers auf den Berg. 1964 übergab von der Heydt das Anwesen dem Kanton Tessin. Das Hotel wurde 2008 aufwendig restauriert. Es gilt als das einzige originalgetreu erhaltene Hotel der Schweiz im Stil des Neuen Bauens und gehört zur Kette der Swiss Historic Hotels.

Der ganzheitliche Ansatz der Lebensreformbewegung

Der alternative und ganzheitliche Ansatz der Lebensreformbewegung zielte darauf hin, den Menschen an Körper, Geist und Seele gesunden zu lassen. Propagiert wurde eine Freikörperkultur mit Licht-und Sonnenbädern, mit Wassertreten, Tanz und Bewegung im Freien, eine vegetarische Ernährung, eine meditative Besinnung. In neu gegründeten Reformwarenhäusern konnten gesunde Lebens- und Heilmittel und natürliche Körperpflegemittel gekauft werden.

Rudolf Steiner gab den Anstoß zur biologisch dynamischen Landwirtschaft, zur Herstellung von Heilmitteln und natürlichen Körperpflegeprodukten. Seine Firmengründungen Weleda – in Arlesheim / Schweiz und in Schwäbisch Gemünd ansässig – und Wala in Bad Boll bei Stuttgart gehören heute zu den Global Players. Demeter ist zu einem internationalen Markenzeichen für den biologischen Landbau geworden.

Inschrift am Genossenschaftshaus der gemeinnützigen Obstbausiedlung Eden bei Berlin. Die Bäume stehen für Lebensreform, Bodenreform. Sozialreform. Die gemeinnützige Obstanbausiedlung wurde 1893 gegründet. Foto: wiko cc Doris Antony 2008
Verbandslogo von Demeter. Demeter ist heute ein weltweiter Verband und Gütesiegel einer nachhaltigen Landwirtschaft basierend auf den Prinzipien der biologisch-dynamischen Landwirtschaft des Anthroposophen Rudolf Steiner. Foto: wiki


Die Reformpädagogik

Auch die Erziehung war ein zentrales Thema der Jugendstilbewegung. Die Aufbruchstimmung führte zu einer Diskussion um Erziehungsziele (Reformpädagogik) und einer weltweiten Flut von Schulgründungen. Allein in Deutschland hat es nach Jürgen Oelkers mehr als 100 Schulgründungen gegeben, die die neuen Ideen umsetzen wollten, darunter das wohl bekannteste Landschulheim, die Odenwaldschule in Ober-Hambach. Sie wurde 1910 gegründet.

Die Schulhäuser, in denen die Schüler in Familien ähnlichen Gruppen lebten, wurden nach Entwürfen des hessischen Architekten Heinrich Metzendorf (1866 – 1923) erbaut, der in seiner frühen Schaffenszeit ein beachtliches Werk im Wuppertal hinterlassen hat u. a. das Stammhaus für Friedrich Bayer in der Friedrich-Ebertstraße. Bildunterschrift: Humboldt-und Fichte-Häuser 19, im neuen hessischen Heimatstil erbaut, auch Reformarchitektur genannt]

Julius Höppener, Lithografie Lichtgebet

Die idyllische Lage fernab der Städte bot ideale Bedingungen, um die jungen Menschen ganzheitlich im neuen Geist zu erziehen, Körper, Geist und Seele gleichermaßen gesund zu nähren. In den Anfängen der Odenwaldschule gehörten dazu auch das allmorgendliche Luftbad, Freiübungen im Lichtkleid, getrennt nach Geschlechtern und anschließendes kaltes Duschen. Das Luftbad, ein freies, nicht einsehbares Gelände war von Julius Höppener, genannt Fidus, angeregt worden, dessen Tochter die Schule besuchte.

Fidus war einer der erfolgreichsten deutschen Jugendstilkünstler, gleichzeitig Theosoph, sendungsbewusster Lebensreformer und Protagonist der Freikörperkultur. Sein Bild, das Lichtgebet, gehörte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den meist verbreiteten Bildern in Deutschland [...] (Frecot). Heute wirkt die Melange aus sexueller Befreiung, dem alten und neuen Wissen um die Heilkraft der Sonne und schwärmerischer Mystifizierung des Nacktseins an der frischen Luft befremdlich. Noch verstörender seine Anbiederung an die Nationalsozialisten, weil er sich von ihnen eine Förderung seiner Lichtarchitektur erhoffte. Aber die Nazis konnten mit dem Typus eines schwärmerischen Idealisten und vor allem Individualisten nichts anfangen.

Zu den bekanntesten frühen Schülern der Odenwaldschule zählen die Kinder von Thomas Mann, Erika und Klaus.

Auch der Sohn Else Lasker-Schülers besuchte die Odenwaldschule. Paul, 1899 geboren, war sensibel und künstlerisch begabt, als Schüler schwierig. Die Mutter sucht wiederholt nach einer passenden Schule für Paul. So wendet sie sich 1912 auch an die Odenwaldschule; Paul besucht die Odenwaldschule vermutlich von Juni 1912 bis zum Sommer 1913. Else Lasker-Schüler ist notorisch in finanziellen Engpässen, sie schreibt Paul Geheeb, dem Gründer und Leiter der Schule, einen ihrer vielen Bittbriefe, um die Internatskosten zu senken und bietet als Gegenleistung an, einen Bericht über die Odenwaldschule zu schreiben und zu veröffentlichen. Ihre romantische Sicht auf die Schule, die Verklärung Geheebs zum Rübezahl vom Odenwald, fließt fortan in die Außen-Wahrnehmung und idealisierte Selbstdarstellung der Reformschule ein:

Paul Lasker-Schüler (1899-1927), Sohn von ELS, besuchte von 1912 bis 1913 die Odenwaldschule; er hat ein beachtliches, aber bislang kaum wahrgenommenes bildnerisches Werk hinterlassen; Foto: wiki

Paul Geheeb, der Schöpfer der Odenwaldschule, ist ein Rübezahl, er zaubert Freude durch die Hallen und Säle seiner Gnomhäuser, und überall ist es hell, wohin seine sonnigen Augen scheinen. Immer steigt sein Fuß, ob er auf die Gipfel will oder über die Ebene schreitet. Von Rübezahl sprechen die Bauern im Tal, wenn sie den Direktor oben meinen, den die Kinder alle so lieb haben. Jedem Mädchen schenkt er ein tröstendes Wort, und den verirrten Wanderer beherbergt er und seine Gnomen für die Nacht…

Plätschernde Bäche, goldene Gärten begleiten den Ankömmling die Bergsstrasse hinauf von Heppenheim bis oben ins Gnomenstädtchen; holde Landschaft, befreite Erde – kommt man aus der Großstadt dorthin, wo Rübezahl seine Odenwaldschule erbaut hat!
(Lasker-Schüler im Berliner Tageblatt vom 17. Dezember 1912)

Paul bleibt auch in der Odenwaldschule schwierig; der Blickwinkel der Dichterin auf die Odenwaldschule und ihren Leiter ist nun deutlich weniger romantisch. Letztendlich muss die Mutter ein neues Internat für ihren Sohn suchen.

Nach der zivilisatorischen Katastrophe des Ersten Weltkriegs wird auch der geistig-pädagogische Impetus des Aufbruchs um 1900 mit verstärktem Elan aufgegriffen und fortgeführt. In Waldorf bei Stuttgart wird 1919 die erste anthroposophische Schule ins Leben gerufen. In England gründet A.S. Neill 1921 das Internat Summerhill, das im Diskurs um die antiautoritäre Erziehung der 1970er Jahre eine Rolle spielen sollte.

Die Odenwaldschule entwickelte sich […] mehr und mehr zu einer internationalen, multireligiösen und multikulturellen Schule (Näf) und sollte nach dem zweiten Weltkrieg das liberale Vorzeigeinternat der Bundesrepublik werden. Nach dem Bekanntwerden von einer ungeheuerlichen Zahl von Missbrauchsvorfällen in den Jahren 1966 – 1989 musste das Internat 2016 schließen.

Die Befreiung der Frau und Internationalität

Gegen die Prüderie und doppelte Moral des späten 19. Jahrhunderts setzte die Jugendstilbewegung die sexuelle Befreiung, symbolisch und konkret die Befreiung der Frauen aus den Zwängen des Korsetts. Künstler entwarfen Reformkleider, reagierten mit Tabubrüchen wie erotischen Darstellungen.

Der Jugendstil öffnete sich außereuropäischen Einflüssen; gegen den wachsenden Nationalismus setzte die Kunstszene Ausrufezeichen mit internationalen Ausstellungen wie in Brüssel (Les Vingts) oder die Sonderbundausstellungen in Düsseldorf und Köln.

Auch Else Lasker-Schüler gehört zur künstlerischen Avantgarde der Jahrhundertwende, die mit Ihrer Kunst und ihrer Persönlichkeit die tradierte Kunstszene aufmischte, immer wieder gegen bürgerliche Konventionen aufbegehrte und so zur Befreiung der Frauen beitrug.

Heinrich Vogeler, Frühling, 1897, Worpswede; das Gemälde zeigt eine Frau im Reformkleid, Foto: wiki

Sie war eine auffällige Erscheinung. Zweifelsohne. Exzentrisch, exaltiert. Und wer weiß, vielleicht warf sie sogar einen blauen Schatten, wie sie es von Franz Marc behauptet. Als Dichterprinz Jussuf trägt sie schwarze Seide; Glöckchen um die Füße, ist glasperlengeschmückt… Sie dürfte die erste Performance-Künstlerin gewesen sein. Im August 1914 wurde sie wegen ihrer Aufmachung in München viermal auf der Straße verhaftet-einmal auch in Prag. Für Bayern jedenfalls ergriff sie Vorsichtsmaßnahmen:

Sie schmückte ihr Turban gekröntes Gewand patriotisch mit einem deutschen Fahnenband und schaffte sich zusätzlich eine Schärpe an in den königlich-bayerischen Farben blau-weiss. Kein Wunder, dass man einer solchen Person in ihrer Heimatstadt Wuppertal überwiegend Ablehnung oder nur halbherzige Anerkennung zollt- sogar bis heute: Eine Frau, die sich für freie Verhütungsmittel und freie Liebe und zugleich für die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen 218 einsetzte…
Hajo Jahn, Petra Urban: Annäherung an eine Biographie (2006)

Den Hässlichkeiten des Maschinenornaments stellt die Jugendstilbewegung die Aufwertung der angewandten Künste, ihre Gleichstellung mit der freien Kunst, eine verbesserte Ausbildung der Handwerker (Gründung von Kunstgewerbeschulen) und die Entwicklung von Gestaltungskriterien entgegen, um langfristig die Qualität ihrer Produkte zu verbessern, um mit einer neuen ehrlichen Kunst in den Alltag hinein zu wirken: mit einer neuen Städteplanung, einer neuen Architektur, neuen Innenraumideen, Alltagsgegenständen im neuen Stil.

Das Vorbild war die englische Arts-and Crafts-Bewegung. Hermann Muthesius, Architekt, Publizist und Mitbegründer des deutschen Werkbundes, hatte – während seines Aufenthalts als Diplomat in England – die Arts-and-Crafts-Bewegung und die neue englische Architektur studiert und in seinen Büchern in Deutschland bekannt gemacht. Nach seiner Rückkehr war er im preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe für die neuen Kunstgewerbeschulen zuständig und setzte sich für die Einstellung hervorragender Lehrer aus der zeitgenössischen künstlerischen Avantgarde ein.

Die Barmer Kunstgewerbeschule wurde 1894 gegründet und ihr Pendant in Elberfeld drei Jahre später. Ihre Direktoren, der Architekt Wilhelm Werdelmann und der Maler und Zeichenlehrer Richard Meyer waren ein Glücksgriff. Durch ihre Kompetenz und ihr Engagement legten sie den Grundstein zur erfolgreichen Designtradition der Wupperstädte. Werdelmann wirkte auch als Architekt in Barmen; Meyer übernahm auch den Vorsitz des Elberfelder Kunstgewerbevereins, knüpfte Kontakte zur internationalen Kunst-und Kunsthandwerkerszene, besuchte Weltausstellungen, holte die künstlerische Avantgarde [zu Vorträgen] ins Wuppertal (Mahlberg). Auf seiner Reise zur Weltausstellung von 1904 in Chicago gelang es ihm, den dort gerade mit einer Goldenen Medaille ausgezeichneten Schweizer Architekten und Designer Alfred Altherr als Leiter der Fachklasse für künstlerische Ausgestaltung des Innenraumes, Entwerfer von Möbeln und Geräten der Elberfelder Kunstgewerbeschule zu verpflichten. 1912 kehrte Altherr als Leiter des Züricher Kunstgewerbemuseums und Leiter der angeschlossenen Kunstgewerbeschule in die Schweiz zurück. Hier gründete er noch im selben Jahr den Schweizer Werkbund und setzte in den folgenden Jahren bedeutende Impulse im Designbereich seines Heimatlandes.

1907 wurde der deutsche Werkbund gegründet, ein Zusammenschluss von führenden Künstlern, Kunsthandwerkern und Industrie, um in allen Bereichen Qualitätsprodukte zu schaffen, auch um international wettbewerbsfähig zu sein. Die Schönheit und Wahrheit einer neuen, zeitgemäßen Kunst sollte eine bessere, lebenswertere Zukunft gestalten, eine neue Spiritualität sollte die geistigen Kräfte stärken und kreative Impulse freisetzen. So wie sich die Kunst außereuropäischen Kulturen öffnete, so nutzten auch die Vorreiter einer neuen Spiritualität, Theosophie und Anthroposophie, fernöstliche Weisheitslehren als Inspirationsquelle und machten u.a. die Lehre des Yoga und seine Techniken zunächst unter ihren Mitgliedern bekannt. Eine beachtliche Anzahl der künstlerischen Avantgarde wie Lauweriks, Zwollo, Itten, Klee oder Kandinsky gehörten der neuen Geistesströmung an. Die allgemeine Verbreitung des Yoga begann nach dem ersten Weltkrieg und noch einmal verstärkt nach dem zweiten Weltkrieg.

Eine neue Spiritualität und Impulse zur Nachhaltigkeit

Rudolf Steiner 1861-1925

1913 hatte sich die Anthroposophie auf Betreiben Rudolf Steiners von der Theosophie abgespalten. Nach dem Schock des ersten Weltkriegs strömten die Menschen zu den Vorträgen Steiners. Offenbar konnten Steiner und die Anthroposophie den vielen Sinnsuchern Antworten bieten, die die etablierte Gesellschaft und ihre Kirchen schuldig blieben. Die angewandte Anthroposophie als Teil der Lebensreformbewegung (Miriam Gebhardt) konnte in vielen Bereichen wichtige Impulse setzen, die heute den gesellschaftlichen Diskurs prägen: (biologisch-dynamische Landwirtschaft / gesunde vegetarische Ernährung, natürliche Körperpflege, ganzheitliche Erziehung, …). Während die Anthroposophie als geistig-religiöse Gemeinschaft an Bedeutung verloren hat, befindet sich die angewandte Anthroposophie in unbegrenztem Aufwind. (s. anthroposophische Marken wie Demeter, Weleda, Wala, Hess Natur, …) Die Notwendigkeit einer ökologischen Landwirtschaft, einer artgerechten Tierhaltung, einer gesunden nachhaltigen Ernährung und Lebensweise, die auch die Folgen für die gesamte Menschheit und das weltweite Klima im Blick haben, ist heute mehr Menschen denn je bewusst. Einen besonderen Erfolg kann die Waldorfpädagogik mit ihren Kindergärten, Schulen, und heilpädagogischen Einrichtungen aufweisen. Heute bilden Waldorfschulen nach den kirchlichen Einrichtungen die größte Gruppe unter den Privatschulen in Deutschland…Weltweit existieren über tausend Waldorf-beziehungsweise Steinerschulen. (Gebhardt)

Die frühen deutschen Wurzeln der Theosophie sind aufs Engste mit dem Wuppertal und einer ihrer führenden Gründerfamilien verbunden: Die über England auf den europäischen Kontinent kommende Bewegung fasste zuerst in Hamburg Fuß, um dann sogleich nach Elberfeld in die Platzhofstraße 12 zu gelangen. Marie Gebhard geb. Mary L’Estrange wurde 1832 in Dublin geboren. 1852 heiratete sie in New York den Fabrikanten Gustav Gebhard. Marie wurde 1883 Mitglied der London Lodge der Theosophischen Gesellschaft. Ein Jahr später wurde in ihrem Haus in Elberfeld die theosophische Loge Germania gegründet. Präsident wurde Wilhelm Hübbe-Schleiden; Marie Gebhard wurde Vizepräsidentin, ihr Mann übernahm das Amt des Schatzmeisters, der Sohn Franz Gebhard das des Sekretärs.

Dass in Wuppertal und seiner nahen Umgebung heute ein dichtes Netzwerk anthroposophischer Einrichtungen besteht, ist auch dem Lackfabrikanten, Anthroposophen und Förderer Kurt Herberts zu verdanken. Dazu gehören u. a die Rudolf Steiner Schule, die Christian Morgenstern Schule, Kindergärten, das Troxler Haus, Lebensgemeinschaften für psychisch Kranke und Senioren, bio-dynamisch ausgerichtete Höfe im Umkreis von Wuppertal und Neviges. Sein ehemaliges Wohnhaus, umgeben von einem großen Park in bevorzugter Hanglage, ist heute das historische Kernstück des Skulpturenparks.

Die Zeit des Jugendstils war eine Zeit größter innergesellschaftlicher und internationaler Spannungen und Gegensätze. Die explosive Spannung führte zum 1.Weltkrieg, zum Sturz des zaristischen Russlands und einer erfolgreichen kommunistischen Revolution (1917), die die politische Welt für lange Zeit spalten sollte. In Deutschland musste der Kaiser nach dem Krieg abdanken; die Republik wurde ausgerufen; Frauen bekamen das Wahlrecht. Auch die Welt der Kunst veränderte sich radikal.

In der bildenden Kunst kristallisierten sich zeitgleich oder kurz hintereinander vielfältige und heterogene Richtungen aus wie Expressionismus, Dadaismus, Kubismus, Symbolismus. Offenbar konnten gerade aus der Bedrängnis, aus der Reibung der Gegensätze, die ungeheure künstlerische Kreativität und ganzheitliche Gestaltungskraft des Aufbruchs um 1900 entspringen, die bis in unsere Gegenwart hineinwirken.

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